Graz

Wohnbau "Carl-Spitzweg-Gasse"

1992-94
1987 Wettbewerb 1.Preis

Unter dem Motto "Kostengünstiges Bauen im sozialen Wohnbau" wurde 1987 ein nationaler Wettbewerb für 50 Wohnungen ausgeschrieben, mit dem der Auslober "Modell Steiermark" nicht nur Quadratmeterpreise zur Diskussion stellen wollte, sondern vor allem unkonventionelle Lösungen.
Allerdings um auf diesem Wege die üblichen Kosten zu unterschreiten. Der erste Preis ging an Volker Giencke. Zur Ausführung und Verwaltung wurde das Projekt einer Wohnbaugenossenschaft übertragen. Damit war der Grundstein nicht für das Projekt, sondern für eine Jahre währende Verhinderungsverwaltschaft gelegt, die schließlich darin ihren Höhepunkt fand, dass der Direktor der Genossenschaft unter Korruptionsverdacht demissionierte. Die weitere Objektbetreuung oblag damit zeitweise den Anwälten. Erst im Frühsommer 1991 wurden von der Genossenschaft Bauarbeiten ausgeschrieben, was in dieser Phase einer extremen Baukonjunktur in der Steiermark zu Preisen von wenigstens 15% über den üblichen Marktpreisen führte. Die Genossenschaft trat von dem Projekt endgültig zurück, und bot den zukünftigen Wohnungseigentümern das Grundstück zum Kauf an. Eine daraufhin spontan in einem Verein organisierte Selbstverwaltung konnte zwar nicht die überhöhten Einheitspreise aus der Welt schaffen, bemühte sich jedoch darum, nicht unbedingt notwendige Bauleistungen zu streichen, vor allem aber den Bau voranzubringen - diesmal gegen den hinhaltenden Widerstand der Behörden, die im Umgang mit selbstverwalteten Projekten wenig Erfahrung zeigten.

Faszinierend ist dieser Geschosswohnbau schon auf den ersten Blick. Denn er entspricht in keinem Punkt der äußeren Konvention. Weder der asketischen Übung "Zinshaus", noch dem Formenspiel "Fröhliche Mehrfachvilla". Nicht einmal dem zwischen den Fronten oft aufgeweckteren Grazer Duktus, der aber oft doch nicht aufrührerisch, sondern eben sehr kleinbürgerlich ausfällt. In einer überwiegend locker und verhalten bebauten Parklandschaft sind die beiden viergeschossigen Gebäuderiegel gleicher Organisation, aber unterschiedlicher Länge, keilförmig und damit dynamisch zueinander positioniert. Die Baukörper sind sehr einfach konstruiert. Sie wirken jedoch dank der plastischen Attribute Flugdach und Freitreppe, dank des Wechselspieles der hausgrundstücksbezogenen Freiräume, dank der überraschenden Fassadenmaterialien Schiffssperrholz (auf der kalten Erschließungsseite) und emailliertes Glas (auf der warmen Südseite), nicht zuletzt auch dank der offenen Aufständerung für die Garagenplätze sehr komplex und vielschichtig. Die tragende Konstruktion ist ein schlichter Betonscheibenbau von geringer Tiefe.

Darum addieren sich die unterschiedlichen Aufenthaltsräume der Wohnungen mit dem Vorteil zweiseitiger Belichtung und Orientierung in der Längsachse. Kein einziger Raum ist auf künstliche Belichtung angewiesen, weder die auf der Erschließungsseite quasi ex muros zusammengefassten Nebenräume WC, Windfang und Bad, noch die unter dem Gebäude plazierten Autoabstellplätze. Der Grundriss ist zum einen so gleichförmig, zum anderen aber auch so flexibel strukturiert, dass sich Vorfertigung und individuelle Raumaufteilung nicht widersprechen. Fixpunkte bilden lediglich die vorgefertigten Nasszellen und die tragende Schotte im Zentrum der unteren Wohnanlagen. Selbst die Küche und die abgehängten Freibereiche stehen hinsichtlich Größe, Anordnung und Orientierung in Grenzen zur Disposition. Um die Distanz zwischen Erdboden, Wohnungs- bzw. individueller Haustür auf maximal zwei Treppenläufe zu begrenzen, sind auf den oberen Etagen Maisonette-Wohnungen angeordnet. Die sehr ungewöhnliche Erschließungsidee schafft mit ihren individuellen Zugängen im öffentlichen Raum haus-ähnliche Wohnungsqualitäten. Das Dach wird dabei im Sinne Le Corbusiers konsequent als im urbanen Verbund wichtiger "geschenkter" Garten begriffen.

Klaus Dieter Weiß